Staatsangehörigkeit hat stärkeren Einfluss auf Lohnunterschied als Geschlecht
Beschäftigte aus Asylherkunftsländern verdienen trotz vergleichbarer Qualifikationen und der Arbeit in Engpassberufen strukturell weniger als deutsche Staatsangehörige in den gleichen Berufen. Die geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschiede bleiben zusätzlich bestehen. Bei Fachkräften ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern jedoch vergleichsweise gering.
Deutlich wird das in der Studie „Ungleiche Bezahlung in Engpassberufen. Die unsichtbaren Grenzen von Herkunft und Geschlecht“ der IQ Fachstelle Einwanderung und Integration. In der Studie liegt der Fokus auf Engpassberufen sowie auf Beschäftigten aus Asylherkunftsländern. Engpassberufe sind gekennzeichnet durch einen Mangel an qualifizierten Fachkräften. Betrachtet wurden u. a. die Berufsgruppen Tiefbau, Energietechnik, Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe sowie nicht ärztliche Therapie und Heilkunde. Demnach verdienen Beschäftigte aus Asylherkunftsländern in Engpassberufen weniger als ihre deutschen Kolleg:innen und das trotz gleichem Anforderungsniveau und gleicher Berufsgruppe.
Der Migrant Pay Gap ist für alle betrachteten Engpassberufe nachweisbar, jedoch variiert das Ausmaß zum Teil stark. Im Jahr 2021 lag die Differenz zwischen Beschäftigten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit z. B. im Baugewerbe- und Bauhandwerksberufen bei etwa 33,6 Prozent, im Rohrleitungsbau bei 21,6 Prozent und im Tiefbau hingegen nur bei 0,6 Prozent.
In der Aufschlüsselung der Gehaltsunterschiede nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit (dem Migrant-Gender-Pay-Gap) auf Fachkräfteniveau und branchenübergreifend wurde deutlich, dass die Staatsangehörigkeit sogar einen noch stärkeren Einfluss auf die Lohnunterschiede hat als das Geschlecht.
Migrant Pay Gap braucht öffentliche Debatte und Ursachenforschung
Die Faktoren, die zu Gehaltsunterschieden zwischen deutschen und nicht-deutschen Staatsangehörigen führen, müssten laut Autor:innen der Studie noch genauer untersucht werden. Um das Thema stärker in die aktuelle öffentliche Debatte zum Thema Gender Pay Gap einzubringen, gibt es ein Erklärvideo, das den Migrant-Gender-Pay-Gap gut verständlich darstellt. Das Video wurde durch die IQ Netzwerke in Hamburg, Berlin und Brandenburg sowie der IQ Fachstelle für Einwanderung und Integration veröffentlicht.
IQ Netzwerk Hamburg knüpft an Studie an und nimmt Migrant Pay Gap in Hamburg in den Blick
Das IQ Netzwerk Hamburg knüpft mit der Studie „Faire Migration – Migrant-Gender-Pay-Gap“ aus dem Mai 2024 an die Studie der IQ Fachstelle Einwanderung und Integration aus dem Januar 2024 an. Ziel war es, weitere regionalisierte Erkenntnisse zur Lohnsituation in Hamburg zu gewinnen.
Die Ergebnisse des IQ Netzwerks Hamburg unterstreichen die Erkenntnisse aus der Studie der IQ Fachstelle Einwanderung und Integration. Die Gehaltsunterschiede variieren stark je nach Branche. Zum Beispiel fallen die Gehaltsunterschiede in den Branchen „Gesundheit, Lehre und Erziehung“ eher gering aus. Hingegen zeigen sich große Unterschiede in Branchen wie Reinigung, Logistik oder Fahrzeugführung im Straßenverkehr. Dabei gibt es auch große Gehaltsunterschiede zwischen den Staatsangehörigkeiten selbst. Demnach sind Menschen aus den Top acht Asylherkunftsländern (Stand: 2021: Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien) am stärksten vom Migrant Pay Gap betroffen. Eine Ausnahme bildet die IT-Branche. Hier verdienen ausländische Staatsangehörige sogar mehr als deutsche Staatsangehörige.
Die Studienergebnisse deutet auf eine besondere Benachteiligung von Migrant:innen auf dem deutschen und dem Hamburger Arbeitsmarkt hin. Branchenübergreifend auf Fachkräfteniveau zeigt sich, dass die Staatsangehörigkeit sogar einen größeren Einfluss auf Lohnunterschiede hat als geschlechterspezifische Gehaltsunterschiede. Das bedeutet, dass sowohl Frauen als auch Männer ohne deutsche Staatsangehörigkeit deutlich weniger verdienen als deutsche Staatsangehörige.
Frauen verdienen durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit sind es immer noch 6 Prozent. Das zeigen die aktuellen Zahlen zum Gender Pay Gap in Deutschland. Durch den Migrant Pay Gap sind Frauen mit ausländischer Staatsangehörigkeit also doppelt benachteiligt.
Hintergrund zu den Studien
Die im Januar 2024 veröffentlichte Analyse zum Migrant-Gender-Pay-Gap basiert auf Daten einer Sonderabfrage der Bundesagentur für Arbeit (BA) für den Zeitraum von 2016 bis 2021. Seit 2005 setzt sich das Förderprogramm "IQ - Integration durch Qualifizierung" dafür ein, die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Es ist in allen 16 Bundesländern aktiv und gilt seit vielen Jahren als wichtige Anlaufstelle für Zugewanderte und Geflüchtete, die eine Integration in den Arbeitsmarkt anstreben. Im Mai 2024 veröffentlichte das IQ Netzwerk Hamburg seine Studie auf Grundlage der Ergebnisse der Studie aus dem Januar 2024.
Studie zum Migrant-Gender-Pay-Gap in Berlin bestätigt die Ergebnisse
Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung hat im Rahmen des Projektes European Labour Lab Berlin eine Studie zur Entgeltsituation von Zugewanderten in Berlin im Jahr 2022 veröffentlicht, welche die Ergebnisse der Hamburger Studie bestätigt. Die Analyse untersucht die Entgelte von Männern und Frauen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in Berlin auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Analyse der Entgeltstruktur zeigt, dass in Berlin sowohl geschlechtsspezifische als auch migrationsbedingte Unterschiede bestehen.
Die Entgeltunterschiede hängen zum einen vom Anforderungsniveau der Tätigkeit ab. Frauen verdienen im Allgemeinen weniger als Männer. Besonders ausgeprägt sind die Gehaltsunterschiede aber auf dem Anforderungsniveau von Expert:innen und Spezialist:innen. Im Vergleich dazu fallen die Unterschiede bei Helfer:innentätigkeiten geringer aus. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Entgelte bei diesen Tätigkeiten insgesamt niedriger sind.
Nicht-deutsche Beschäftigte erhalten tendenziell geringere Gehälter als deutsche Beschäftigte. Während nicht-deutsche Frauen im Vergleich zu anderen Gruppen weniger verdienen, sind die Ergebnisse bei nicht-deutschen Männern: Zwar erhalten sie nur in wenigen Berufen höhere Entgelte als deutsche Männer, sie schneiden aber gegenüber deutschen Frauen in vielen Berufen besser ab.
In den Ergebnissen wird ein deutliches Muster erkennbar: Deutsche Männer verdienen in der Regel am besten, während nicht-deutsche Frauen im Vergleich zu anderen Gruppen die niedrigsten Gehälter erhalten – auch wenn sie im gleichen Anforderungsniveau und Berufsfeld tätig sind.
Einige Branchen mit geringem Gender Pay Gap, wie beispielsweise Lehr- und Ausbildungsberufe, sowie mit niedrigen Migrant Gender Pay Gap, wie in den Gesundheitsberufen, der Krankenpflege und der Pflege, stechen vermutlich durch ihre Tarifgebundenheit positiv hervor. Dies unterstreicht die Wirksamkeit von Lohntransparenz und tariflichen Regelungen, um Gehaltsunterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu verringern.