In den kommenden Jahren wird der Bedarf an MINT-Arbeitskräften – besonders in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung – weiter steigen. Für Unternehmen bedeutet das eine große Herausforderung. Insbesondere für Frauen und zugewanderte Menschen eröffnet der Mangel aber auch neue berufliche Chancen.
Fachkräftemangel als Innovationshindernis
Deutschland verliert im globalen Innovationswettbewerb an Boden und ist im Innovationsranking des Bundesverbands der Deutschen Industrie e. V. (BDI) von Platz 10 auf 12 zurückgefallen. Eine aktuelle Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), der Beratungsfirma Boston Consulting Group und dem BDI zeigt, dass hohe und steigende Kosten für Energie, Löhne, Steuern und Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie belasten. Der MINT-Herbstreport des IW bestätigt zwar, dass noch Stärken bei Forschung, Patenten und MINT-Bildung vorhanden seien, doch andere Länder steigern ihre Forschungsintensität. So ist der Anteil Deutschlands an den internationalen Patent-Anmeldungen seit 2000 rückläufig.
Trotz des ausgeprägten Bewusstseins für die Bedeutung der Transformation insbesondere in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung sehen sich laut des MINT-Herbstreports viele Unternehmen vor allem aufgrund des Fachkräftemangels schlecht aufgestellt. Mit 44 Prozent nennen die Unternehmen den Fachkräftemangel als größte Hürde für die Digitalisierung. Fachkräfteengpässe sind auch für 29 Prozent der Unternehmen bei Klimaschutz und Energiewende und für 27 Prozent der Unternehmen beim Umgang mit geopolitischen Risiken ein großes Hemmnis.
Demografischer Wandel und wachsende Branche verursachen einen hohen Bedarf an Fachkräften
Ursachen für den Mangel an Fachkräften sind einerseits die demografische Entwicklung in Deutschland und andererseits das Wachstum im MINT-Bereich. In den kommenden Jahren gehen deutlich mehr MINT-Fachkräfte in den Ruhestand, als durch neu ausgebildete Beschäftigte ersetzt werden können. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Studienanfänger:innen in den Bereichen Ingenieurwissenschaft, Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften seit 2016 deutlich: Die Anzahl der Studienanfänger:innen in MINT ist von 198.000 im Studienjahr 2016 auf 179.500 im Studienjahr 2023 deutlich gefallen. Als Gründe dafür werden die Belastungen durch den demografischen Wandel sowie eine rückläufige Bildungsleistung genannt.
Für die Entwicklung klimafreundlicher Produkte und Technologien wird gleichzeitig in den kommenden Jahren ein steigender Bedarf an MINT-Fachkräften angenommen: 35 Prozent der Unternehmen erwarten dies für Absolvent:innen der Informatik und 28 Prozent für Absolvent:innen der Ingenieurwissenschaften.
Zugewanderte Beschäftigte spielen schon jetzt eine wichtige Rolle, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften im MINT-Berufen zu decken: Ein Fünftel aller erwerbstätigen MINT-Akademiker:innen im Tätigkeitsbereich Forschung und Entwicklung hat in Deutschland einen Migrationshintergrund. Dies zeigt auch der MINT-Report 2022: Während die Zahl der deutschen Beschäftigten in MINT-Berufen vom vierten Quartal 2012 bis zum dritten Quartal 2021 nur um 7 Prozent gestiegen ist, nahm die Beschäftigung von ausländischen Fachkräften im gleichen Zeitraum um rund 80 Prozent zu. Ohne die ausländischen Fachkräfte wäre die Zahl der fehlenden Fachkräfte 2022 fast doppelt so hoch gewesen (600.000).
MINT-Fachkräfte-Lücke schließen: Potenziale klischeefreier Berufswahl
Dem wachsenden Bedarf an Fachkräften sollte aus Sicht der Fachleute mit ganz unterschiedlichen Maßnahmen begegnet werden. Dazu gehören unter anderem eine bessere digitale Ausstattung von Bildungseinrichtungen, entsprechende Weiterbildungen für pädagogisches Fachpersonal und mehr Informatikunterricht an Schulen. Zudem sollten bürokratische Hürden bei der Zuwanderung von MINT-Fachkräften weiter abgebaut und weitere Zielgruppen wie ältere Menschen, Zugewanderte und Frauen stärker gefördert werden.
Denn in Deutschland entscheiden sich nach wie vor viel weniger Frauen für einen MINT-Beruf oder ein MINT-Studium als Männer. Mädchen schätzen sich im Vergleich zu Jungen in den MINT-Fächern als schlechter ein und werden in dieser Wahrnehmung oft noch von den Eltern bestärkt. Abhilfe können hier eine klischeefreie Studien- und Berufsorientierung, Kontakte zu Mentor:innen sowie eine Unterstützung für MINT-interessierte Mädchen und Frauen in den sozialen Netzwerken bringen.
Initiativen der Bundesregierung
Die Initiative Klischeefrei sowie der einmal im Jahr stattfindende Aktionstag Girls´Day – Mädchen-Zukunftstag, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden, leisten einen substanziellen Beitrag zur Stärkung der klischeefreien Studien- und Berufsorientierung.
- Dem Netzwerk der Initiative Klischeefrei gehören mehr als 650 Partnerorganisationen an, darunter Ministerien sowie Schulen, Kitas, Hochschulen und Unternehmen, die sich selbst zu einer klischeefreien Berufs- und Studienwahlbegleitung verpflichten und diese inner- und außerhalb ihrer Institutionen verbreiten.
- Am Aktionstag Girls´Day wird versucht, Mädchen und junge Frauen für Berufe zu begeistern, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, darunter fallen auch die MINT-Berufe. Diese Sensibilisierungsmaßnahme stößt jedes Jahr auf großes Interesse.
Deutschland kann es sich angesichts des Fachkräftemangels nicht leisten, die Potentiale von Mädchen und Frauen weiterhin brachliegen zu lassen. Neben der damit verbundenen Gerechtigkeitsfrage berührt diese Herausforderung auch die wirtschaftliche Zukunft des Standortes Deutschland.